Inhaltsverzeichnis
- Du hast es dir zur Aufgabe gemacht, kleinwüchsige Menschen durch angepasste Kleidung an der Modewelt teilhaben zu lassen – wie kamst du dazu?
- Was möchtest du mit deiner Arbeit erreichen?
- Warum ist Inklusion und Diversität für das Miteinander in unserer Gesellschaft wichtig?
- Wie können wir uns in unserem Umfeld für mehr Inklusion einsetzen?
- Wie erlebst du deine Nachbarschaft?
Rund 8 Millionen Menschen in Deutschland gelten aktuell als schwerbehindert – sie sind auf Unterstützung im Alltag angewiesen und haben oft mit Stigmatisierung zu kämpfen. Der Anteil der schwerbehinderten Menschen an der gesamten Bevölkerung in Deutschland beträgt laut Statistischem Bundesamt (Destatis) 9,5 % (Stand 2019).
Körperliche und geistige Behinderungen treten laut Destatis vor allem bei älteren Menschen auf: Mehr als ein Drittel der schwerbehinderten Menschen sind 75 Jahre und älter. 44 Prozent gehören der Altersgruppe von 55 bis 74 Jahren an.
Mit dem Alter steigt somit auch die Wahrscheinlichkeit einer Behinderung – für jede und jeden von uns. Daher ist es uns bei nebenan.de wichtig, dass wir das Miteinander in der Nachbarschaft möglichst inklusiv gestalten, um niemanden auszuschließen und Menschen mit Behinderungen besser in nachbarschaftliche Aktivitäten einzubeziehen.
Sema hat vor 4 Jahren das Modeunternehmen Auf Augenhoehe ins Leben gerufen, um kleinwüchsigen Menschen durch passgenaue Kleidung mehr Individualität und Teilhabe an der Modewelt zu ermöglichen. Im Interview erzählt sie von ihrer persönlichen Vision und gibt Tipps, wie jede und jeder von uns zu mehr Inklusion im Alltag beitragen kann.
Du hast es dir zur Aufgabe gemacht, kleinwüchsige Menschen durch angepasste Kleidung an der Modewelt teilhaben zu lassen – wie kamst du dazu?
Sema: Ich bin bereits sehr früh mit dem Thema Kleinwuchs in Berührung gekommen, da meine Cousine Funda kleinwüchsig ist. Wenn ich sie in der Türkei besucht habe und wir zum Beispiel gemeinsam shoppen waren, habe ich hautnah miterlebt, vor welchen Herausforderungen sie Tag für Tag steht. Und wie sich nach Recherche und vielen Gesprächen herausstellte, gab es einfach keinerlei gute Alternativen für Menschen mit Kleinwuchs. Während meines Modedesign-Studiums habe ich beschlossen, daran etwas zu ändern. Es lag für mich einfach auf der Hand.
Was möchtest du mit deiner Arbeit erreichen?
Sema: In meinen Projekten habe ich mich schon immer gesellschaftlich relevanten Themen gewidmet. Vor allem die Bereiche, die häufig ignoriert und übersehen werden, haben mich interessiert. Es gibt eine Milliarde Menschen auf unserem Planeten, die irgendeine Art von Behinderung haben. Eine Milliarde. Wenn 10 Prozent dieser Milliarde ein Problem haben, Bekleidung zu finden, dann brauchen wir eine Lösung. Inklusion und Diversität ist ein gern gesehenes Thema bei reichweitenstarken Kampagnen großer Modehäuser, doch der Begriff „Adaptive Fashion” oder auch „Barrierefreie Mode” wird noch immer vernachlässigt und ignoriert.
Bei Auf Augenhoehe haben wir es uns zur Aufgabe gemacht, der Modeindustrie zu zeigen, wie gleichberechtigter Umgang mit Personen, deren Körpermaße von konventionellen Proportionen abweichen, praktisch umgesetzt werden kann. Teilhabe in der Modewelt bedeutet für uns vor allem eine solidarische Haltung.
Nur gelebte Inklusion kann gesellschaftlichen Wandel tatsächlich möglich machen. Mode ist hier der Antrieb und das Instrument für Veränderungen in unserer Gesellschaft und der Wirtschaft. Wirklich inklusiv zu handeln und Menschen in all ihrer Diversität mit einzubeziehen, sollte heute kein Hindernis sein.
Wir planen aktuell Kooperationen mit großen Playern der Modeindustrie, die unsere Expert:innenrolle im Bereich Inklusion und Diversität erkannt haben und mit uns gemeinsam etwas bewirken wollen.
Warum ist Inklusion und Diversität für das Miteinander in unserer Gesellschaft wichtig?
Sema: Wenn ich aktuelle Themen in den Sozialen Medien beobachte, wie Selbstliebe, Body Positivity oder auch Nachhaltigkeit, merke ich, dass die Sichtbarkeit von Menschen mit Behinderung(en) im Mainstream noch nicht ganz angekommen ist. Für mich ist Adaptive Fashion kein Trend, es ist die gleichwertige Sichtbarkeit von und das Angebot für Menschen mit Behinderung(en), die wir weiter und lauter fordern müssen.
Darum ist Inklusion und Diversität wichtig, für das Miteinander in unserer Gesellschaft.
In einer Gesellschaft, in der Individualität und Selbstbestimmung immer wichtiger wird, dürfen wir nicht die Menschen vergessen, denen menschengemachte Barrieren im Weg stehen. Angefangen bei der Entscheidung, welche Kleidung man tragen möchte bis hin zur Wahl des eigenen Wohnverhältnisses: Unsere Gesellschaft bietet vielen Menschen noch nicht genug und auch nicht die gleichen Möglichkeiten zur Selbstbestimmung. Alle Menschen sollen gleichberechtigt und selbstbestimmt Teil der Gesellschaft sein – unabhängig von sozialer oder kultureller Herkunft, von Geschlecht, Hautfarbe, Religion oder einer Behinderung.
Wie können wir uns in unserem Umfeld für mehr Inklusion einsetzen?
Sema: Einfach offen aufeinander zugehen und gewohnte Muster durchbrechen! Auch in den Medien und der Öffentlichkeit werden Menschen mit Behinderungen unterrepräsentiert. Beides hat zur Folge, dass durch fehlende Visibilität von Menschen mit Behinderungen ein Nebeneinander anstatt ein Miteinander geschaffen wird. Hinzu kommt auch, dass gesellschaftlich nicht offen und angstfrei mit dem Thema Behinderung umgegangen wird. Daher ist es kein Wunder, dass tabuisierte Themen eine besondere Sensibilität erfordern bzw. Hemmungen im Umgang oder Nicht-Umgang entstanden und verhärtet sind.
Meine Empfehlung ist hier ganz klar: Erstmal zuhören und verstehen! Ich bin eine große Anhängerin des Mottos: »Nothing about us without us« – um die Community zu zitieren. Damit das Miteinander und unser Umgang untereinander wirklich inklusiv werden kann, müssen wir gemeinsam für ein Aufbrechen alter Normen, im Kopf, der Politik und der Gesellschaft sorgen – ich treibe genau das mit Auf Augenhoehe voran.
Wie erlebst du deine Nachbarschaft?
Bunt. Ruhig. Laut.
Als ich krank im Bett lag, über mehrere Tage und Nächte durchgängig gehustet habe, hat mein Nachbar mir eine Hühnersuppe vorbei gebracht. Das war echt unheimlich goldig und ich werde das nie vergessen.
Der Comenius-Garten. Hier kann man richtig schön abschalten, in aller Ruhe ein Buch lesen und die Gedanken ordnen.
In der Zosse Bar kann man ganz gemütlich den Feierabend ausklingen lassen oder das Wochenende einläuten. Und die kønigliche Backstube. Hier gibt es das beste Brot, die besten Croissants und die coolsten Bäcker:innen auf der ganzen Welt.
Ich würde gerne einen inklusiven Kiez aufbauen. Alle Bars, Cafes, Restaurants, Kinos, Wohnungen und so weiter werden barrierefrei.
Für alle, die sich mehr mit dem Thema Inklusion und Diversität auseinandersetzen möchten, empfiehlt Sema diese Influencer:innen, Podcasts, Filme und Newsletter:
Filme:
Crip Camp: A Disability Revolution (2020)
The Theory of Everything (2014)
Ray (2004)
I am Sam (2001)
Newsletter:
Influencer:innen:
Ninia La Grande // I Instagram: @ninialagrande
Kübra Sekin // Instagram: @iamkubra_
Lauren “Lolo” Spencer // Instagram: @itslololove
Annie Segarra // Instagram: @annieelainey
Ruby Allegra // Instagram: @rvbyallegra
Imani Barbarin // Instagram: @crutches_and_spice
Jillian Mercado // Instagram: @jillianmercado
Aaron Rose // Instagram: @aaron___philip
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