„Little Home“ – ein eigenes kleines Zuhause
Vier Holzwände, drei Quadratmeter Wohnfläche und ein Dach über dem Kopf: So sieht Michas neues Zuhause aus. Der 61-jährige wohnt seit wenigen Monaten in seinem eigenen sogenannten „Little Home“. Zuvor hat er sieben Jahre ohne Obdach auf den Straßen Berlins verbracht. In den vergangenen Monaten suchte er vermehrt in einer Bushaltestelle in Heiligensee Unterschlupf.
„Von einem Nachbarn habe ich erfahren, dass da ein wohnungsloser Mann bei uns am Waldrand in einer Bushaltestelle lebt. Das konnte ich kaum glauben. Ich bin dann direkt hingefahren und habe ihn einfach angesprochen“, erzählt Ines. Sie wohnt nur wenige Gehminuten entfernt.
Von Mensch zu Mensch
In ihrem ersten Gespräch erfährt Ines Michas Geschichte: Er ist über 60, an Krebs erkrankt, erhält keinerlei Sozialhilfen und hat keine Krankenversicherung. Ines ist von Michas Schicksal ergriffen und bietet ihm ihre Unterstützung an.
An den folgenden Tagen bringt sie ihm warme Getränke und Essen vorbei und unterhält sich mit ihm über sein Leben. Zunächst ist Micha sehr zurückhaltend, häufig wird er mit Anfeindungen konfrontiert. Ein Gespräch mit Passant:innen auf Augenhöhe hat er lange nicht mehr geführt.
Doch langsam taut er auf und vertraut sich Ines an. Sie nimmt sich seine Situation zu Herzen:
Es hat ihn sichtlich berührt, dass ihn jemand als Mensch wahrnimmt und sich für ihn interessiert.
Hilfe aus der Nachbarschaft
Die Begegnung mit Micha lässt Ines nicht mehr los. Ihr ist klar, ganz alleine kann sie wenig für ihn tun. Auf der Nachbarschaftsplattform nebenan.de wendet sie sich hilfesuchend an ihre Nachbar:innen:
„Hilfe für obdachlosen Micha
Hier in Heiligensee wohnt ein Obdachloser im Wald hinter der Bushaltestelle. Er ist sehr liebenswürdig und seit 7 Jahren auf der Straße. Wer kann warme Kleidung spenden, wer Lebensmittel abgeben?
Wenn ihr ihm was Gutes tun möchtet, schaut einfach bei ihm vorbei und wechselt ein paar nette Worte mit ihm, das vermisst er.“
Die Resonanz aus der Nachbarschaft ist riesig: „Die nötigsten Sachen kamen ruckzuck zusammen. Viele haben direkt Sachen vorbeigebracht – Kleidung, Handtücher und Lebensmittel“, erzählt Ines begeistert.
Micha ist von so viel Anteilnahme überwältigt und vertraut Ines schließlich seinen ganz großen Herzenswunsch an: ein kleines Taschenradio, um endlich wieder Musik und Nachrichten im Radio zuhören. Auch in diesem Anliegen wendet sich Ines an ihre Nachbar:innen bei nebenan.de: „Richtig super wäre so ein Campingradio mit Kurbel, denn Batterien kosten Geld, was Micha nicht hat“, schreibt sie auf der Plattform.
Ihr Nachbar Joachim zögert nicht und besorgt kurzerhand ein passendes Kofferradio für Micha. Die tatkräftige Unterstützung aus ihrer Nachbarschaft bestärkt Ines in ihrem großen Vorhaben, Micha zu einem Neustart zu verhelfen.
Neuanfang für obdachlosen Micha
Gemeinsam mit ihrem Nachbarn Norbert setzt sich Ines dafür ein, Micha in einem „Little Home“ unterzubringen und ihm so einen Neuanfang zu ermöglichen. Norbert arbeitet bereits länger mit dem Verein „Little Home“ zusammen. Der Verein baut gemeinsam mit Ehrenamtlichen kleine Häuser auf Rädern, die dann als Obdach an wohnungslose Menschen verschenkt werden. „Damit bekommen sie eine eigene Adresse und können somit Sozialhilfen beantragen“, erklärt Ines.
Norbert und Ines werden von vielen Nachbar:innen aus Heiligensee in ihrem Engagement für Micha unterstützt. Gemeinsam sammeln sie Spenden und bauen schließlich aus Europaletten, Rädern und Spanplatten ein „Little Home“ für Micha in ihrer Nachbarschaft.
Dann ist der große Tag gekommen: Micha bekommt nach sieben langen Jahren die Schlüssel zu seinen eigenen vier Wänden überreicht. Ein emotionaler Moment für ihn und seine Helfer:innen aus der Nachbarschaft:
Ines hat sich seitdem bei weiteren „Little Home“-Projekten engagiert und versucht, den Moment der Übergabe in Worte zu fassen:
Es ist ein Glücksgefühl, anderen zu helfen und es ist ergreifend zu sehen, wenn die Menschen ihr „Little Home“ entgegennehmen und damit ein Stück Leben zurückbekommen.
Mittlerweile hat sich Micha in seinem „Little Home“ eingerichtet, den nötigen Hausrat brachten Ines und andere Nachbar:innen. Außerdem bekommt er Unterstützung von Teen Challenge e.V., einer christlichen Drogenberatung. Sie bieten ihm Hilfe bei den notwendigen Ämtergängen an.
Ines ist beruhigt: „Micha hat jetzt alles beantragt, damit er bald Arbeitslosengeld und eine Krankenversicherung bekommt und nicht mehr vom Flaschensammeln abhängig ist.“
Helfen macht glücklich!
Manchmal besucht Ines Micha oder trifft ihn bei der Essensausgabe, die Norbert regelmäßig organisiert. Zu sehen, dass es ihm bei jedem Treffen besser geht, macht ihr Mut. Sie wünscht sich, dass noch viel mehr Menschen offener und hilfsbereiter auf Bedürftige zugehen:
Ihre Erfahrungen teilt Ines auch im Radio bei rbb 88.8 im Rahmen der Aktion „Lieblingsnachbarn – Geschichten von nebenan“.
Der Artikel wurde erstmals im Oktober 2020 veröffentlicht und im Mai 2022 aktualisiert.
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