Bild: nebenan.de
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Unterkunft gesucht: nebenan.de-Gründer nimmt Geflüchtete aus der Ukraine auf


Täglich empfangen Hilfsorganisationen und ehrenamtliche Helfer:innen tausende Geflüchtete aus der Ukraine am Berliner Hauptbahnhof. Auch zahlreiche Privatpersonen sind vor Ort aktiv: Sie bringen Sachspenden vorbei oder bieten Schlafplätze an. Einer von ihnen ist nebenan.de-Gründer Christian Vollmann.

Christian Vollmann (Bild: nebenan.de)

Christian Vollmann gründete im Juni 2015 gemeinsam mit fünf Mitgründer:innen die Nachbarschaftsplattform nebenan.de. Sechs Jahre später nutzen mehr als 2 Millionen Menschen in Deutschland nebenan.de: Sie vernetzen sich in ihrer Nachbarschaft, verleihen, tauschen und verschenken Dinge und leisten gegenseitig Hilfe – im Alltag wie auch in Krisenzeiten. Sei es während der letzten Flüchtlingskrise im Jahr 2015/2016 oder während der Pandemie.

Aktuell koordinieren viele Nachbar:innen bei nebenan.de ihre Unterstützungsangebote für Betroffene des Ukraine-Krieges. Auch Christian Vollmann hat geflüchtete Personen aus der Ukraine bei sich aufgenommen. Im Interview erzählt er von seiner persönlichen Erfahrung.

Du hast dich gemeinsam mit deiner Familie dazu entschieden, geflüchtete Menschen aus der Ukraine aufzunehmen. Wie kam es zu diesem Entschluss?

Christian: Keiner von uns hat jemals Krieg so nah erlebt. Die Bilder in den Nachrichten haben uns sprachlos und hilflos gemacht. Aber uns war relativ schnell klar, dass wir eine Handvoll Menschen in unserem Ferienhaus in Brandenburg unterbringen können.

Zunächst haben meine Frau und ich das in der Familie besprochen – wir haben drei Kinder im Alter von sieben, neun und elf Jahren. Natürlich haben die Kinder schon viel durch die Medien mitbekommen. Wir haben ihnen erklärt, dass die geflüchteten Menschen alles zurücklassen mussten und auf unsere Unterstützung angewiesen sind.

Was waren die nächsten Schritte, nachdem ihr euch entschieden habt, zu helfen?

Mit diesem Schild nahm Christian die Geflüchteten am Hbf in Empfang

Christian: Als erstes haben wir unser Angebot für eine Bleibe bei unterkunft-ukraine.de registriert. Darüber wurde uns auch recht schnell eine Familie zugeteilt. Sie haben dann jedoch kurzfristig eine andere Unterkunft gefunden, die näher bei ihren in Deutschland lebenden Verwandten liegt.

Ungefähr zur gleichen Zeit habe ich erfahren, dass an diesem Wochenende tausende Menschen aus der Ukraine am Berliner Hauptbahnhof erwartet werden. In unserem Ferienhaus war schon alles für den Einzug der Familie vorbereitet, sodass ich einfach direkt zum Bahnhof gefahren bin.

Und dann stand ich da erstmal mit einem Schild, auf dem stand, wie viele Menschen ich unterbringen kann. Zusammen mit hunderten Berliner:innen, die ebenfalls Schlafmöglichkeiten angeboten haben.

Wie lief die Koordination zwischen dir und den Geflüchteten bzw. euer Kennenlernen am Hauptbahnhof ab?

Christian: Ich musste nicht lange warten, bis ich auf mein Hilfsangebot angesprochen wurde. Vier nigerianische Studierende sind etwas zögerlich auf mich zugekommen und haben mich gefragt, ob ich auch nicht-ukrainische Geflüchtete aufnehmen würde. Ich gehe davon aus, dass sie diese Frage schon öfter gestellt haben und einige Male abgewiesen worden sind. Sie haben sehr eingeschüchtert gewirkt. Die vier sind den Umweg über Ungarn gegangen, weil sie Angst hatten, in Polen nicht über die Grenze gelassen zu werden.

Ich habe selbst am Bahnhof gesehen, dass viele People of Color nicht aufgenommen wurden, ebenso alleinreisende ältere Männer und Menschen mit Kopftuch. Das finde ich traurig – das ist ein Problem.

Mir und meiner Familie war von Beginn an klar, dass sich unser Hilfsangebot an alle Menschen, die vom Ukraine-Krieg betroffen sind, richtet. Unabhängig von Nationalität, Hautfarbe oder Religion. Also habe ich die vier mitgekommen und in unserem Ferienhaus in Brandenburg untergebracht.

Seit knapp einer Woche leben die vier Studierenden aus Kiew in eurem Ferienhaus in Brandenburg. Haben sie sich gut eingelebt?

Christian: Sie konnten sich erst einmal von der anstrengenden Flucht erholen und sind etwas zur Ruhe gekommen. Viel haben sie nicht dabei, sodass meine Familie zur Zeit in der Nachbarschaft bei nebenan.de Sachspenden für die vier sammelt. Mein Sohn möchte bald auch einen kleinen Spenden-Flohmarkt veranstalten, damit sie sich neu ausstatten können.

Ukraine-Hilfe bei nebenan.de

Du möchtest auch Menschen, die vom Ukraine-Krieg betroffen sind, unterstützen? Sieh in unserem neuen Menüpunkt  „Ukraine Hilfe” nach, welche Hilfsaktionen es bereits in deiner Nachbarschaft gibt oder schreibe selbst einen Beitrag.

Wie geht es jetzt konkret für sie weiter?

Christian: Momentan versuchen sie zunächst Fuß zu fassen. Anders als die Ukrainer:innen sind sie ursprünglich nicht vor einem Krieg aus ihrem eigenen Land geflohen. In Nigeria hatten sie keine Perspektive auf Bildung und Arbeit. Das Studium in Kiew war für sie die Möglichkeit, sich in Europa zu etablieren. Jetzt wollen sie hier entweder weiter studieren oder arbeiten.

Erst einmal suchen sie einen Job in Berlin. Das ist von Brandenburg aus nicht ganz so einfach. Wir unterstützen sie dabei und ich habe auch schon einige Jobangebote für sie aus meinem Netzwerk erhalten. Jedoch brauchen sie dafür eine Bleibe in Berlin. Wir haben in unserer Nachbarschaft bei nebenan.de bereits gefragt, ob jemand eine Wohnung vermitteln kann. Bisher hat sich leider noch nichts ergeben, aber wir bleiben dran.

Langfristig möchten wir das Ferienhaus in Brandenburg für eine kleine Familie zur Verfügung stellen, die nicht auf die städtische Nähe angewiesen ist und dort erstmal zur Ruhe kommen kann.

Wieder einmal ist unsere Solidarität gefragt. Wir sind sehr dankbar, dass wir schon in den vergangen Jahren erleben konnten, wie hilfsbereit unsere nebenan.de-Gemeinschaft ist.

Richtlinie zur Lage in der Ukraine – für ein respektvolles Miteinander bei nebenan.de

Lasst uns gemeinsam unseren Nachbar:innen aus der Ukraine helfen und füreinander da sein!


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Johanna Falkenstein | nebenan.de

Johanna unterstützt das Kommunikationsteam von nebenan.de seit April 2018. Unter anderem beschäftigt sie sich mit Begegnungsformaten in der Nachbarschaft – online und offline.